Berliner Schließzwang

Zerstörungsfreie Schlossöffnung, Fragen zu den verschiedenen Werkzeugen und freier Informationsaustausch

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Abloyfan
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Berliner Schließzwang

Beitrag von Abloyfan »

Hallo,
hier Beitrag wurde kurz der Berliner Schließzwang erwähnt. Auf Wikipedia gibt es auch eine Erklärung, was das überhaupt ist. Eine recht interessante Technik, die ich ca. 1975 in einer Berliner Pension auch mal selber "live" erlebt habe. Wenn die Haustür abgeschlossen ist, kann man sie mit dem Doppelschlüssel zwar aufschließen, dann aber den Schlüssel nicht abziehen. Man muß den Schlüssel durch das Schlüsselloch nach innen durchschieben, so daß der andere Bart im Schloß ist und die Tür wieder abschließen (jetzt von innen), erst dann kann man den Schlüssel wieder abziehen.

Man kann sich schon irgendwie vorstellen, wie ein Schloß gebaut sein muß, um so etwas zu realisieren. Aber damals haben wir natürlich auch etwas herumexperimentiert: was, wenn man die Tür im offenen Zustand abschließt? Auch dann ist das Schloß selber ja "zu", der Riegel ragt heraus. Aber der Schlüssel ließ sich trotzdem nicht abziehen. Irgendwo muß es einen Fühler oder "Sensor" geben, der dem Schloß signalisiert, daß die Tür nicht zu ist. Wir haben die ganze Tür abgesucht, weder am Schloß selber noch auf der Bandseite (Scharniere) konnten wir irgendetwas sehen, keine Stifte, die hereingedrückt werden müssen usw. Wir haben die ganze Tür rundherum abgesucht, nichts. Nur unten konnten wir natürlich nicht nachgucken, ausheben wollten wir die Tür nicht... Es gibt zwar etwas Informationen zum Berliner Schließzwang (soll es angeblich auch heute noch geben), aber nichts, was genauer ins Detail geht. Vieleicht weiß ja jemand hier genaueres.

Gruß

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schliessnase
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von schliessnase »

Hier mal ein Beitrag über den Erfinder dieses Systems:

Johann Schweiger

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Retak
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Retak »

Ja, das ist ein echtes Stück Berlin, woanders(ausser vielleicht im unmittelbaren Berliner Umland) hats das nie gegeben. In Berlin ist es inzwischen auch praktisch ausgestorben.
Eine Besonderheit bei diesem Schloss ist ja gerade die "Überlistungssperre", dh. ein vorschliessen des Riegels ist nur möglich, wenn die Tür wirklich zu ist. Das wurde im Laufe der Jahre durch verschiedene Techniken realisiert. Bei der allerältesten Bauart, die noch auf einem teilbaren Buntbartschlüssel basierte, musste die Falle ein ganz bestimmtes Mass aus dem Stulp ragen, damit der Riegel freigegeben wurde, wozu ein genau justierter Anschlag im Schliessblech notwendig war. Diese Methode war sehr unzuverlässig(leicht zu überwinden und anfällig gegen Verzug der Tür). Als nächstes verwendete man eine Hilfsfalle, die beim Schliessen der Tür zurückgedrückt wurde. Das aber konnte ein Mensch genauso tun, die Sperre war als praktisch wirkungslos.
Richtig durchgesetzt hat sich das System daher erst, als man die Riegelsperre so konstruierte, dass sie zuverlässig funktionierte und eine Manipulation mit gösseren Schwierigkeiten verbunden war. Das erreichte man mit einer Schubstange, die im Inneren des Türblattes oder unter einer Blechabdeckung vom Schloss zu deren oberem Ende verlief. An der oberseite des Türrahmens war ein Stift angebracht, der beim Schliessen der Tür hinter die Abdeckung griff und die Stange gegen den Druck einer Feder nach unten bewegte. hierdurch wurde ein mit dem unteren Ende der Stange verbundener, durch die Schlossdecke hindurch in eine Ausnehmung des zurückgeschlossenen Riegels ragender Stift ausser Eingriff gebracht, so dass der Riegel vorgeschlossen werden konnte.
Bei der letzten Version sparte man sich diese komplizierte Technik und integrierte im Schliessblech einen Magneten, der bei geschlossener Tür einen hinter dem Stulp befindlichen Anker auslenkt und somit den Riegel freigibt. Um das Magnetfeld nicht abzuschirmen sind hierbei Schliessblech und Stulp aus Messing gefertigt. Wer von dem Magneten wusste, konnte das aber auch wieder leicht überlisten.
Von letzterer Version hier noch ein paar Bilder:
SW1.JPG
Von aussen verrät sich das Durchteckschloss durch die beiden um 90° versetzten Schlüssellöcher.
SW10.JPG
Es handelt sich um ein einfaches Chubbschloss
SW2.JPG
Durchsteckschlüssel
SW13.JPG
Riegelsperre aktiviert
SW11.JPG
Bei geschlossener Tür befindet sich der Anker im Feld des im Schliessblech plazierten Magneten, wodurch er in Richtung zum Stulp gezogen und somit die Riegelsperre gelöst wird, was das vorschliessen des Riegels ermöglicht.
SW4.JPG
Erst jetzt kann man den Schlüssel abziehen.

P.S. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es unter der Marke "Hammerschmidt" in Berlin noch ein zweites Schliesszwangsystem gab. Dieses hatte einen flachen Schlüssel mit dem Bart in der Mitte, der so lang war, dass er auf beiden Seiten der Tür herausragte, so dass diese nach dem Passieren von der anderen Seite her wieder verschlossen werden konnte. Der Schliesszwang wurde dabei durch eine spezielle Gestaltung von Schliessblech und Riegel bewirkt. Das System war aber nie weit verbreitet.
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

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fracomingo
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von fracomingo »

Tolle Erklärungen, danke euch, hatte noch nie davon gehört!
LG
fracomingo
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Christian
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Christian »

Cool
Interessant und gut erklärt... und das Du mal eben da Bilder hast wundert mich mitlerweile kaum... Retak
... ich habe von der Technik gehört, aber wie das abschliessen bei offener Türe war mir noch ein Rätzel.
Man lernt hier immer wieder was neues, und wie schon erwähnt finde ich die Schloßtechnik aus vergangenen Jahrzehnten sehr interessant
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Abloyfan
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Abloyfan »

Hallo,
Danke für die Erklärungen, jetzt weiß ich ach, warum wir damals nichts entdecken konnten. Das war offensichtlich auch die "Magnetversion", da kann man natürlich nichts von außen fühlen. Auf Magnete bin ich damals bei der Technik wirklich nicht gekommen...

Wenn ich das richtig verstehe, blockiert der Riegel im offenen Zustand das untere Schlüsselloch, so daß man den Schlüssel nicht mehr ganz senkrecht stellen kann. Jetzt bleiben nur noch Vermutungen, wieso man den Schlüssel dann zur anderen Seite noch durchstecken kann. Wahrscheinlich kann man den Schlüssel nur um 90° gedreht durchstecken, die waagerechten Schlüssellöcher haben spiegelbildliche Profile. Da ich mich nach ca. 35 Jahren nicht mehr so genau an das Schloß in der Pension erinnern kann, vermute ich mal folgendes: Schlüssel "senkrecht" (d.h. mit Bart nach unten) einstecken und aufschließen. Der Schlüssel läßt sich jetzt nicht mehr ganz bis zur senkrechten Stellung drehen und somit nicht abziehen. Schlüssel jetzt waagerecht halten und durchs Schloß durchstecken, wegen der spiegelbildlichen Profile kann der Schlüssel in der Lage nur nach hinten durchgesteckt werden, aber nicht herausgezogen werden. Tür schließen, Magnet gibt den Riegel frei und abschließen. Jetzt kann der Schlüssel wieder senkrecht gedreht und abgezogen werden. Der Hausmeisterschlüssel hat wohl ein spiegelbildliches Profil, so daß er den Schlüssel waagerecht ins Schloß steckt und so auch wieder abziehen kann, egal, ob das Schloß dann offen oder abgeschlossen ist. Im offenen Zustand könnte man dann mit dem normalen Schlüssel gar nicht ins Schloß, denn das senkrechte Schlüsselloch ist dann ja blockiert.

Das Ganze ist mal wieder viel einfacher gelöst als ich ursprünglich gedacht habe, allerdings dachte ich auch, daß man den Durchsteckschlüssel auch senkrecht durchstecken müßte, was eine wesentlich kompliziertere Mechanik erfordern würde. Außer dem magnetischen Riegelblockierer hat das Schloß nicht mehr Teile als sonst auch, nur der Riegel hat im Schlüsselbereich eine andere Form. Ein Wechsel ist aber nur noch schwierig zu realisieren, wenn überhaupt, ich vermute, es hat da wohl nie einen gegeben.

Gruß

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Retak
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Retak »

Der Mieterschlüssel lässt sich nicht um 360°drehen, da sich innen an der Schlossdecke ein zwischen dem senkrechten und dem waagerechten Schlüsselloch ein Anschlag befindet, der ein weiterdrehen in die Abzugsstellung(senkrecht) bei zurückgeschlossenem Riegel verhindert. Der Bart des Hauswartschlüssels hat an dieser Position eine Ausnehmung, so dass er am Anschlag vorbei, also um 360°, gedreht werden kann. Er ist also ein "normaler", einbärtiger Schlüssel, der bei offener oder verschlossener Tür senkrecht eingesteckt und abgezogen wird.
Das waagerechte Shlüsselloch hat gegenüber dem senkrechten ein spiegelbildliches Profil. Der Schlüssel wird also senkrecht eingesteckt, waagerecht durchgeschoben und dann senkrecht wieder abgezogen. Da er von der Einsteckposition aus nur bis zum waagerechten Schlüsselloch gedreht werden kann, ist ein Abziehen erst nach Zurückdrehen, also vorschliessen des Riegels, möglich.
Durchsteckschlösser mit Wechsel gab es ab Werk nicht, da es hierzu eine Schlüsseldrehung über 360° hinaus notwendig gewesen wäre, was mit dem Mieterschlüssel nicht möglich ist. Es gab allerdings "Bastlerlösungen", bei denen zur Betätigung der Falle ein zweiter Schlüssel verwendet wurde. Wenn die Tür abgeschlossen war, musste man mit dem Durchsteckschlüssel aufschliessen, dann mit dem zweiten Schlüssel die Falle entriegeln(der Durchsteckschlüssel blieb dabei stecken) und schliesslich wieder abschliessen. Dadurch, dass der Durchsteckschlüssel mittels Bajonetthalterung vom Schlüsselbund abnehmbar war( sonst könnte man ihn ja nicht durchschieben)ging das, wenn auch recht unbequem.

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Christian
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Christian »

:rubbingey ... letztendlich gibt es bei dem "Kerfinschloß" da ja kaum die Notwändigkeit eines Wechselschlosses, da ja die Schließzwang-Funktion dafür sorgt das die Türe immer abgeschlossen ist.
Bei einer lechtgängigen Türe währe da selbst die Falle und die Klinken überflüssig, bei einer schweren Hoftüre durchaus.
Im großen und ganzen ist es schon eine gute Idee, da so mancher Mitbewohner gerne die Türen offenstehen lässt... aber das mit den Bajonettverschluss währe mir auch zu umständlich, und wenn dann noch ein weiterer Schlüssel für das Wechselschloss.... wäre ich bewohner eines Hauses mit solchem System würde ich mir auch einen Hausmeisterschlüssel basteln :quivering
Es gibt nur eine legitime Einstellung

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Retak
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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Retak »

Nun ja, die Türe wurde ja nur nachts abgeschlossen, Klingeln gabs damals nur direkt an den Wohnungen, so war der Aufgang den ganzen Tag offen. Es ist auch mit dem Mieterschlüssel nicht möglich, die vom Hauswart geöffnete Tür abzuschliessen (zB. wenn auf der Strasse randaliert wird), was einen gewissen Nachteil darstellt, weshalb das Ganze heutigen Sicherheitansprüchen nicht mehr genügt.

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Re: Berliner Schließzwang

Beitrag von Lateiner »

Dies ließe sich durch eine Art Türöffner, der bei Betätigung eines Notfall-Tasters die Tür öffnen lässt... war nur mal so eine Idee...
Aber die Idee mit dem Schließzwangschloss finde ich gar nicht mal so schlecht! Als "Tagschloss" wäre das für nicht sehr sicherheitsrelevante Bereiche sehr interessant!


Lateiner
Liebe Grüße,
L A T E I N E R

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